Blues, Baby, Babyblues!

Winter 2009. Nach LadyGagas Geburt warnte mich meine Mutter, dass ich sehr bald sehr viel weinen würde. Babyblues! Ich lachte sie aus. Weinen? Ich war doch voll auf Oxytocin, glücklich mit meiner Tochter, das war doch, was ich gewollt hatte. Nun gut, ich weinte ehrlich gesagt tatsächlich ziemlich schnell ziemlich viel. Aber das waren meine Ohnmachtsgefühle der Institution Krankenhaus gegenüber: Hebammen, die mich anherrschten, dass ich nicht richtig stillte. Pflegerinnen, die darauf bestanden, LadyGaga aus dem Zimmer zu bringen und auf der Station schlafen zu lassen, damit ich zur Ruhe kommen konnte – was ich aber nicht wollte. Ich wurde bevormundet und wusste nicht, wie ich um meine Stimme kämpfen konnte. Aber Babyblues? Nein.

Fünf Tage nach der Geburt flüchtete ich aus der Klinik nachhause. Wir kamen zu dritt zuhause an, stellten den MaxiCosi mit Baby Gaga auf den Tisch, schauten uns fragend an und sagten: «Und nun?» Wir Eltern waren ratlos, was wir mit dem kleinen Bündel machen sollten. Ich hatte Panik, weil ich das Kind nicht stillen konnte. Meine Tochter würde verhungern, bestimmt!!!

Babyblues unter der Dusche

Doch die Tage vergingen, wir waren in unserer eigenen kleinen Bubble angekommen und alles klappte den Umständen entsprechend ganz wunderbar. Als ich einmal duschte, geschah es: Ich begann, unter der Brause stehend zu weinen, ich weiss gar nicht mehr, was genau der Stein des Anstosses gewesen war, irgend eine Nichtigkeit, ein Gesprächsfetzen mit meinem Mann. Ich weinte und weinte. Ich heulte Rotz und Wasser. Still und heimlich unter der Dusche, wo mich keiner hörte. Ich konnte nicht mehr aufhören, es schüttelte mich regelrecht durch. Ich war die unglücklichste Person auf der Welt. Ich wusste es ganz genau, ich würde nie nie NIE mehr in meinem Leben glücklich sein. Es war einfach alles ganz furchtbar. Alles. Furchtbar.
Nach ein paar Minuten meldete sich die Ratio in mir. Es konnte doch nicht ALLES so furchtbar sein. Da war doch zumindest noch etwas, das zufrieden in seinem Bettchen schlummerte und auf mich wartete. Irgendetwas stimmte hier also eindeutig nicht mit mir. Ich fühlte mich wie Neo, der in der Matrix ein Déjà-vu mit einer Katze hat und dabei die Matrix enttarnt. Diese Heulerei konnte nicht echt sein, das war nicht ich. Der Babyblues hatte mich kalt in der heissen Dusche erwischt, obwohl mich meine Mutter noch ein paar Tage zuvor gewarnt hatte. Meine Hormone spielten tatsächlich komplett verrückt. Ein unglaubliches Gefühl, diesen durchgeschleuderten Hormoncocktail in mir zu spüren. So, als wären sie ein Fremdkörper. Ein Fehler in meinem System, meiner Festplatte.
Ich hatte den Systemfehler als solchen entlarvt. Ich stieg aus der Dusche, trocknete meine Tränen und war dankbar, zu meinem Mann und meiner Tochter zurückgehen zu dürfen. Babyblues my ass.
Der Babyblues gehört nach der Geburt meist dazu – Photo by Cristian Newman on Unsplash

Babyblues Nr. 2, weil ich nicht stillen konnte

2014. Meine Mutter fragte mich nach Copperfields Geburt grinsend: «Und, hattest Du den Babyblues schon?» Nein, hatte ich nicht. Aber diesmal war ich ja darauf vorbereitet und wusste, was mich erwartete. Doch die Wucht der Trauer packte mich am Nacken und schüttelte mich unvermittelt wie ein hilfloses Kätzchen durch. Diesmal gab es einen Grund: Ich konnte wieder nicht stillen. Hatte ich bei LadyGaga noch drei Monate verbissen «zugestillt» (von zufüttern kann keine Rede sein, es war umgekehrt) und war am Ende mehr lethargischer Zombie denn fröhliche Mama, konnte ich dieses Opfer bei Copperfield einfach nicht mehr bringen. Ich hatte noch weniger Milch als 2009. Eine Woche nach Copperfields Geburt sass ich abends zuhause auf dem Sofa und heulte wieder Rotz und Wasser. Nie nie NIE würde ich meinen Sohn stillen können. Ich fühlte mich, als hätte man mir etwas weggenommen, als wäre ich die schlimmste Mutter auf der ganzen Welt. Ich trauerte um etwas, das ich nie haben würde und das mir auch heute noch völlig fremd ist. Mein Mann war bei mir und tröstete dieses schluchzende Bündel in seinen Armen, das völlig ausser sich war. Mein zweiter Babyblues, ich wurde richtig durchgeschüttelt. Und auch wenn ich wusste, dass es die Hormone waren: Es fühlte sich einfach scheisse an.

Heultage gehören dazu

Babyblues, auch etwas despektierlich Heultage genannt, sind nicht zu verwechseln mit einer postpartalen (Wochenbett-)Depression. Falls ihr seit längerer Zeit unter diesen Gefühlsschwankungen, Trauergefühlen, Antrieblosigkeit, Hilflosigkeit und Überforderung mit dem Baby und der neuen familiären Situation leidet, solltet ihr unbedingt einen Arzt oder eine Ärztin bzw. eure Hebamme oder eine Mütterberaterin konsultieren! Der Babyblues aber ist zeitlich begrenzt und ein natürlicher Anpassungsprozess. Mit der Abstossung der Placenta bei der Geburt setzt die Produktion von Östrogen und Progesteron auf einen Schlag aus, stattdessen wird das Stillhormon Prolaktin ausgeschüttet. Was für ein Hormonschleudergang! Zudem sind es gar viele neue Eindrücke, die als Neu-Mama auf einen einprasseln, das muss verdaut werden.

Tipps gegen den Babyblues

Wirkliche Tipps habe ich keine, und auch nicht jede Neu-Mama erlebt den Babyblues. Wenn er aber da ist, hilft es, sich bewusst zu machen, dass es „nur“ die Hormone sind, die einem einen Streich spielen. Die Welt geht nicht wirklich unter! Die unendliche Trauer geht im Normalfall sehr bald wieder weg und weicht der Freude über das Baby. Sicher ist es aber gut, wenn man sich nicht selber unter Druck setzt und sich vom Anspruch löst, eine perfekte Mutter sein zu müssen. Ihr macht das alles ganz wunderbar!

Erstmals erschienen am 5. April 2015
Überarbeitet und aktualisiert am 14. März 2021

11 thoughts on “Blues, Baby, Babyblues!

  1. Nach dem Lesen möchte ich dich einfach mal ganz fest in den Arm nehmen! Bei Fiona 2009 hatte ich den Babyblues auch, ich war noch sehr jung, weit weit weg von zu Hause und den Menschen, die ich liebe, überfordert mit einem Baby allein zu Hause (mein Mann ging 1 Tag nach der Geburt wieder arbeiten, selbstständig. 10-22 Uhr außer Haus…) und bekam dann noch eine schlimme Diagnose, die bis heute zwar nicht endgültig bestätigt aber auch nicht widerlegt wurde (MS). Das alles plus der Hormontornado haben mich Auch viele Tränen gekostet… Dieses Mal beim kleinen F war alles gut und ich konnte das Wochenbett in vollen Zügen genießen, ohne Überflutung und mit der Familie an meiner Seite. Das Stillen war/ist übrigens bei beiden Kinder bei mir ebenfalls nur "zustillen" und nicht andersrum 😉 Ich drück dich!

  2. Ist irgendwie immer gut zu lesen, dass man damit nicht allein ist. Ich war ganz gut auf den Babyblues vorbereitet, einige Freundinnen hatten mich "gewarnt". Erwischt hat es mich dann an dem Tag, als ich aus der Klinik entlassen wurde. Ich konnte auch den Moment richtig spüren, als es mich emotional aus den Socken gehauen hat. Nach einigen Tagen war alles wieder in Ordnung. Gruseliges Phänomen, wirklich.

  3. Ach Du Liebe, in meinen Entwürden schlummert schon ganz lange ein Artikel zum selben Thema. Mich hat es auch ganz schlimm erwischt damals und mir graut schon vor der nächsten Geburt im Sommer. Aber es tut gut zu wissen, dass man nicht allein ist da draußen ��

  4. Meine Groesste Angst war, dass sich meine Frau nach der Geburt unseres Kindes wegen den Hormonen total veraendert. Zum Glueck aber sind die schwangerschaftsdepris total ausgeblieben… Das mit dem Krankenhaus war aber bei uns hier in den USA aehnlich. Die schwestern wollten unseren kleinen auch aus dem Zimmer nehmen damit meine Frau sich ausruhen kann. Wir waren aber darauf vorbereitet und haben das ganze vehement verneint.

    Sehr schoener blog! Keep up the good work! Schau doch auch mal bei uns vorbei. Meine Frau hat vor einigen Tagen einen Erziehungsblog ins Leben gerufen. Lass doch bitte einen Kommentar da wenn du unseren Blog besuchst. Wuerde uns freuen!

    Frohe Ostern!

  5. Ach, ach, ich danke dir für diesen Post. Weil ich es so wichtig finde darüber zu schreiben. Anderen zu sagen: Es gibt die Sonnentage und es gibt den Babyblues. Es ist auch nicht schlimm den zu haben. Es ist eine Erfahrung und davor sollte man sich nicht verschließen.

  6. Danke Dir – nun hab ich meinen Artikel zwischen rosaroten Wolke und Realität schon mal aus dem Kopf in die Entwürfe getippt und dank Dir wird er vielleicht sogar das Licht der virtuellen Welt erblicken… und DU bist Schuld!!! Danke dafür!!!!!!!
    Ich drücke Dich meine Liebe!!!!
    JesSi Ca

  7. Ein echt gutes Gefühl, zu wissen, dass es einem nicht allein geht mit diesem hormonellen Chaos!
    Mir machten meine Hormone schon vor der Geburt meines ersten Kindes zu schaffen. Aufgrund der PMS vor und während der Menstruation nahm ich die Pille mit Absprache meines FA durchgehend für 3 Monate und machte erst dann eine Pause. Bei meiner Schwangerschaft und Geburt ließen sich die Hormonschwankungen zwar nicht verhindern, aber zumindest lindern. Mir wurden präventiv homöopathische Mittel, Entspannungsübungen, Selbstinstruktionshilfen und Möglichkeiten zum Stressabbau vorgeschlagen, wodurch ich die depressive Verstimmung relativ gering halten konnte.
    Liebe Grüße, Julia

  8. Puh, gut dass das mit den neu entdeckten Hormonen nicht nur mir so geht. Früher war ich kalt wie ein Fisch, hab meine Stimmung nicht nach außen gelassen, selbst wenn in meinem Bauch ein T-Rex wütete. Und heute heule ich beim Tatort. Oder manchmal, wenn ich mein Kind im Sandkasten lachen sehe. Und PMSse bis zum Umfallen, dann finde ich mein Verhalten selbst zum Kotzen.

    Furchtbar, das.

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