Wir sind alle keine Engel

Diese Geschichte trage ich schon eine Weile mit mir mit und konnte sie nie verbloggen, weil ich immer das Gefühl hatte, ich komme zu schlecht weg dabei. Und wer präsentiert sich selber schon gerne in einem schlechten Licht.

Diesen Sommer waren wir in Südfrankreich bei meinen Eltern in den Ferien. Eines Tages machten wir einen wunderschönen Ausflug nah Sigean, das ist ein Wildreservat, wo man im Auto durch einen Park fährt und Bären, Zebras, Wildschweine etc. in einem riesigen Gehege sehen kann. Wir waren alle vier begeistert. Neben dem Park hat es noch einen Zoo, den man zu Fuss erkundet. Auch das war ein Erlebnis. Die Tiere waren quasi in das Gebirge und um einen See so natürlich wie möglich eingebettet, die Gehege wiederum sehr gross. Sicher wäre es besser, die Tiere könnten in freier Wildbahn leben. Aber im Vergleich zu unseren Mitteleuropäischen Zoos fand ich das wirklich ganz ganz toll gelöst.

Zum Schluss durften sich beide Kinder ein Erinnerungsstück im Souvenirladen aussuchen. Copperfield stürzte sich sofort auf einen Spielzeug-Traktor und konnte nicht mehr von ihm getrennt werden. Er hat ja erst Drölfzigtausend zuhause. LadyGaga entschied sich für ein dreidimensionales Lineal, das – ähnlich einer Schneekugel – mit Flüssigkeit gefüllt war:

Stein des Anstosses: zwei in lila Flüssigkeit schwimmende Elefanten
Stein des Anstosses: zwei in lila Flüssigkeit schwimmende Elefanten

Der Tatbestand

Wir stöberten noch eine Weile im Shop herum. Da passierte es: LadyGaga war unachtsam und liess das Lineal auf den Boden fallen. TOCK! Fluchend hob ich das Lineal hoch. Es hatte einen Riss abbekommen, meine Hände waren nass. Schimpfend ging ich mit LadyGaga zum Regal mit den Linealen. Hätte sie zur Strafe nun keines mehr bekommen sollen? Dafür bin ich zu weich. Aber ich schimpfte weiter, sie solle sich ein neues aussuchen. Das kaputte Lineal hielt ich in den Händen. Und ich überlegte, was ich damit tun sollte. Ich konnte es abseits auf die Fensterleiste legen, damit niemand anderes es irrtümlich kaufte. Der oder die wäre sonst furchtbar enttäuscht zuhause. Ich studierte noch, als LadyGaga plötzlich mit Piepsstimme fragte: «Müssen wir das jetzt melden? Müssen wir das dann bezahlen?»

Ich fühlte mich ertappt und schüttelte mich innerlich. Was für ein Vorbild war ich nur?! Meine Tochter hatte so Recht!

«Ja, das müssen wir melden und auch bezahlen. Es ist nicht ok, Dinge kaputt zu machen und das dann zu verheimlichen.»

LadyGaga suchte sich ein neues Lineal aus und wir gingen an die Kasse. Dort erklärte ich der Kassiererin, was passiert war, und händigte das defekte Lineal aus. «Meine Tochter hat aus Versehen dieses Lineal kaputt gemacht, es tut uns sehr leid. Wir ersetzen natürlich den Schaden.»

Die Wahrheit wird belohnt

Die Frau schaute uns mit grossen Augen an und nahm das Plastikteil entgegen. Und dann sagte sie etwas, womit ich nie gerechnet hätte:

«Sie ahnen gar nicht, wie viele Dinge hier durch die Touristen zu Bruch gehen und keiner sagt etwas. Keiner. Sie sind die erste seit langem. Ich finde das so toll von Ihnen! Sie müssen nichts extra dafür bezahlen, es geht so in Ordnung. Danke, dass Sie ehrlich waren, ich schätze das sehr.»

Ich bin froh, habe ich die Kurve noch gekriegt. Aber nachdenklich macht mich die Geschichte schon. Ich habe von mir selbst eigentlich das Bild der Frau, die Recht von Unrecht unterscheiden kann und das den Kindern vorlebt. Man klaut nicht. Man lügt nicht. Man verletzt andere nicht absichtlich. Man steht zu seinen Taten. Aber manchmal tut es gut, sich an der eigenen Nase zu nehmen und sich selber durchzuschütteln, um den Muff der Jahre aus den Kleidern zu klopfen. Wir sind alle keine Engel. Auch das sollte man den Kindern mit auf den Weg geben.

9 thoughts on “Wir sind alle keine Engel

  1. Du kommst überhaupt nicht schlecht weg. Wir alle machen Fehler, mal größer, mal kleiner. Aber für mich ist ein Mensch dann wirklich gut (kling komisch), wenn er über seine Fehler oder Angewohnheiten nachdenkt und reflektiert. Genau das hast du gemacht..viele ander, leider zu viele, würden so einer Sache nicht mal einen Gedankenfetzen widmen. Danke für diesen Beitrag. Und mach dich nicht kleiner als du bist. Glg Dani

  2. Ich habe eine ähnliche Situation auch schon erlebt: Ich hatte, ohne es zu merken, ein großes Paket bei IKEA nicht bezahlt, weil ich dachte, es gehöre mit dem Darüberliegenden zusammen. Meine Kinder waren schon vorgegangen, um ein anderes Paket am Lager abzuholen und klärten mich dort über den Irrtum auf. Auch ich überlegte kurz, ob wir nicht einfach gehen sollten. Keiner hätte etwas gemerkt. Ich entschied mich dann aber schnell, zur Kasse zurückzukehren und das Paket noch nachträglich zu bezahlen. Auch diese Kassiererin blickte mich mit großen Augen an und bedankte sich überschwänglich bei mir. Sie hatte das schon lange nicht mehr erlebt. Ich bezahlte und verließ den Laden zufrieden gemeinsam mit meinen Kindern, die sich noch heute gerne von dieser Situation erzählen …

  3. Du kannst stolz auf Dich sein, Du bist ja schon ein Vorbild für Deine Tochter . Ihre Reaktion beweist das, und dass sie Dir vertraut, dass Du das richtige tust. Wir sind ja schliesslich die grössten Vorbilder für unsere Kinder.
    Leider verrohen wir Erwachsenen diesbezüglich ein bischen und es tut gut von unseren Kindern an unsere Werte erinnert zu werden.
    Herzliche Grüsse Joevlin

  4. Das ist wirklich sehr vorbildlich und ich finde es toll, dass du es so gelöst hast. Ich versuche auch, meiner Tochter beizubringen, dass man z.B. Sachen, die jemand verloren hat und einem demnach nicht gehören nicht nehmen darf. Ist schon oft passiert, dass am Spielplatz etwas gelegen ist, dass sie beäugt hat: Ein schönes Haarband mit Masche, ein kleines Spielzeug … alles nur Kleinigkeiten. Mitnehmen wäre vermutlich ganz einfach gewesen, vielleich twären die DInge auch n iemandem abgegangen. Aber ich denke dann immer daran, dass ich mich auch freuen würde, wenn ich etwas wieder finde was ich verloren habe, sei es nur mein Lieblingshaarband.
    Sie versteh es noch nicht so ganz, aber ich hoffe, Vorbild wirkt. Vor einem Jahr hat sie gleich zwei Mal ihren Lieblingsaffen (auch den nachgekauften) im Bus verloren. NIEMAND hat es der Mühe wert gefunden, sie im Bus abzugeben. In einem Vorstadtbus, in dem sicher längs nicht so viel Personenverkehr ist wie in der Stadt. Beide Male hat sie wohl jemand eingesteckt und ich frage mich: wer macht so etwas? Das Stofftier von einem Kind nicht abgeben???? Am schlimmsten ist dann der Gedanke, dass es wohl Menschen sein müssen, die das Stofftier einem Kind weitergeschenkt haben und wissen müssten, was der Verlust eines Stofftiers für ein Kind bedeuten kann. … Diesen Menschen war wohl niemand ein Vorbild. Sie würden sicher auch das kaputte Lineal liegen lassen…

  5. Ich kann mich den anderen nur anschließen, du bist ein gutes Vorbild für dein Kind wenn es selbst dadrauf kommt das man es melden sollte. Also alles richtig gemacht. 😉

    @Stadtmama: Ne, der Person war bestimmt keiner ein Vorbild, solche Menschen habe ich sowas von gefressen. Schlimm ist auch das was meiner Nichte mal passiert ist. Da war sie noch ganz Klein & saß oben im Bus. Durch die Hektig weil viele Aussteigen wollten ist ihr eine kleine Tasche mit bisschen Kram die Treppen runtergefallen. Ein Mann hat es aufgehoben, sie angesehen & ihre glücklichen Augen gesehen. Meine Schwester bat ihn freundlich ihr die Tasche hochzureichen & der ist einfach ohne ein Wort mit der Tasche einfach raus. Da fragt man sich was mit solchen Menschen nicht stimmt, warum sie sowas tun?!

    Lg Nicky

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