Intuition, Glück und Self-fulfilling prophecy

Mit 20 hatte ich eine Selbsteinschätzung, an der jede Königin ihre Freude gehabt hätte. Ich hatte gerade die Schule abgeschlossen und war Herrscherin meines Universums. Die Welt lag mir zu Füssen! Dachte ich. Ich studierte Deutsch und Geschichte mit dem Ziel, Schriftstellerin zu werden. Oder zumindest in einem Verlag als Lektorin zu arbeiten.

Ich wusste ganz einfach, dass ich eines Tages in einem Verlag arbeiten würde. Nun ist es so, dass die Stellen im Verlagswesen sehr rar gesät sind – damals schon. Aber ich kannte meinen Weg. Es war einfach klar für mich. Während des Studiums arbeite ich zwei Jahre bei der Bank, wo ich alte Kundendaten digital erfassen musste. Ich war eine Tippse. Aber da arbeitete eine Frau um die 45, die zugleich noch Chefsekretärin in Teilzeit in einem Medizinverlag war. Sie nahm eine neue Stelle an und kündigte beide vorherigen Stellen. Und dreimal dürft ihr raten: Sie empfahl MICH für die Stelle als Chefsekretärin im Medizinverlag. Der Rest ist Historie.

Einige Jahre später wechselte ich dann zu einem kleineren medizinischen Fachverlag, wo ich das Lektorat übernahm. Ich wohnte damals als Single in Basel. Der kleine Medizinverlag lag ausserhalb der Stadt, und der Arbeitsweg dauerte rund eine halbe bis dreiviertel Stunde mit dem Tram. Eines Nachts träumte ich von einem Hochhaus, und als ich morgens aufwachte, wusste ich, dass ich dort wohnen musste. Auf dem Weg zur Arbeit hatte ich ein Déjà-vu: dieses eine Wohnhaus, an dem ich immer vorbei fuhr, das war es! Ich erzählte meinen Eltern davon, und es stellte sich heraus, dass eine frühere Arbeitskollegin meines Vaters früher dort gewohnt hatte und die Immobilienfirma bzw. Ansprechperson kannte, die das Gebäude verwaltete. Ich rief dort an. Glaubt es oder nicht, tatsächlich war gerade eine Wohnung freigeworden! Wenige Tage später konnte ich sie schon besichtigen.

Letzte Woche entdeckte ich in alten Unterlagen eine Kopie meines Briefes an die Verwaltung. Darin stand: «Leider kommt die besichtigte Wohnung für mich nicht in Frage, da sie im Erdgeschoss ist und mir das als Single zu unsicher ist (Anmerkung: echt jetzt, das habe ich damals geschrieben!!!). Hingegen wäre ich interessiert, in eine Wohnung auf einem anderen Stockwerk einzuziehen. Ginge das?» Wieder ein paar Tage später unterzeichnete ich den Mietvertrag für eine Wohnung im zweiten Stock, die ich noch nie betreten hatte und deren Grundriss auch anders war als die besichtigte. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass es stimmte. Und so war es auch.

Als ich vor kurzem wieder in Basel war, fuhr ich mit dem Auto zu meiner alten Wohnung. Ich parkte vor dem Gebäude und sah zu den Fenstern «meiner Wohnung» hinauf, hinter denen nun jemand anderes wohnte. Wehmut beschlich mich, und ich hatte Tränen in den Augen. Wo ist die junge Frau von damals geblieben, der noch die ganze Welt zu Füssen lag? Wann war ich bloss so «erwachsen» geworden, mit allen Verpflichtungen und Terminen und dieser tiefgreifenden Müdigkeit, aber auch Abgeklärtheit in mir?!

Ich schluckte meine Nostalgie hinunter. Ich bin nicht unglücklich mit meinem Leben und wie es sich entwickelt hat. Ich war viele Jahre einsam, eine Suchende, bevor ich meinen Mann kennenlernte. Aber ich habe Nächte durchgeschrieben an meinen Romanen. Das fehlt mir! Mit Zigarette in der Hand und Rotweinglas auf dem Tisch. Dafür bin ich heute viel zu müde. Habe lauthals gesungen und auch Musik gehört, Partys gefeiert und die falschen Männer gedatet. Ich habe viele falsche Entscheidungen getroffen und mein Bauchgefühl gerne auch mal überhört.

Heute, mit 40, habe ich gelernt, auf diese Stimme in mir zu hören. Nicht nur unbewusst wie mit 20, sondern ganz ganz BEWUSST. Und die Erkenntnis ist da: Dort, wo ich meine Intuition im Leben am wenigsten hinterfragt, sondern einfach GEHANDELT und auch danach gelebt habe, hatte ich jeweils den grössten Erfolg. Wir müssen einfach davon überzeugt sein, dass wir etwas schaffen, aller Widrigkeiten zum Trotz. Self-fulfilling prophecy!

Deshalb richte ich meine Krone und weine meiner alten Wohnung keine weiteren Tränen mehr nach. Ich durfte da laut Hausordnung eh nur jeden zweiten Mittwoch waschen. Geht’s noch?!

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