Salto Mortale Teil II

Und weiter geht es mit Teil 2 meines noch unfertigen Romans. Ich hab keine Ahnung, wo das ganze hinführen wird. Ihr?

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***

Langsam blies sie den Rauch aus ihren Lungen wieder an die Luft ausserhalb ihres Körpers. Sie atmete tief. Da bemerkte sie es. Inmitten der unbeteiligten Menschenmasse, die sie ignorierte oder ganz einfach nicht wahrnahm.

Jemand beobachtete sie.

Schaute sie an.

Fixierte sie.

Sie!

Schnell wandte sie den Blick ab, bestimmt war es nur ein Missverständnis gewesen und er hatte gar nicht sie gemeint. Oder ihre Blicke hatten sich ganz einfach nur schnell gekreuzt.

Sie zog noch einmal nervös an ihrer Kippe und spähte aus den Augenwinkeln zurück. Es war kein Missverständnis. Dieser Mann beobachtete sie ganz offensichtlich, er machte keinen Hehl daraus, durchbohrte sie mit seinen Blicken und schien sie beinahe hypnotisieren zu wollen. Doch sie fühlte sich deswegen seltsamerweise nicht unbehaglich, vielmehr war sie neugierig, wer dieser Mann war, der sie so konzentriert anschaute. Sie wechselte die Taktik und blickte ihn offen an. Wer war dieser Kerl? Nun fixierte sie ihn, und als er das merkte, lächelte er. Er nahm sein Glas in die Hand und prostete ihr strahlend zu. Er war glücklich, das sah man ihm an. Glücklich und zufrieden. Nun lächelte auch Amelia, sie grinste ihn ganz einfach an und konnte nichts dagegen tun. Seine Ausstrahlung machte sie sprachlos. Er wirkte so, als würde er komplett in sich ruhen.

Auf die Entfernung schien er durchaus hübsch zu sein, er hatte dunkles lockiges Haar, trug ein blaues Polohemd und – „Konntest Du bereits bestellen?“ Amelia fiel aus allen Wolken, als plötzlich Philipp vor ihr stand. Sie hatte ihn komplett vergessen. Wie hatte das nur geschehen können? Sie war doch mit ihm hier, und mit niemand anderem. Sie bewegte den Kopf hin und her, um die Gedanken an den Fremden aus sich herauszuschütteln. Nervös zog sie ein letztes Mal an ihrer Zigarette, bevor sie sie im Aschenbecher ausdrückte. „So lange hat es ja gar nicht gedauert, bis Du zurückgekommen bist. Lass uns gleich bestellen, ja? Ich nehme einen Nizza-Salat.“ Philipp setzte sich hin, und sie schaute ihn beinahe entschuldigend an, um gleich danach möglichst unauffällig nach rechts zu spähen, wo sie immer noch den fremden Dunkelhaarigen sitzen sah, der sie beobachtete.

Bestimmt hatte dies alles keine Bedeutung. Der Blick des Fremden war ihr peinlich geworden, Philipp durfte nichts merken. Also griff sie über den Tisch nach Philipps Hand und streichelte sie sanft. Doch er zog sie zurück und griff stattdessen nach der Karte. „Ich muss die Menükarte noch schnell studieren. Ob die hier eine klare Hühnerbrühe im Angebot haben?“ Er vertiefte sich in die Karte und beachtete Amelia nicht weiter. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und atmete tief durch. Die ganze Situation verwirrte sie. Der Mann dort hatte sie immer noch im Visier wie der Adler das Kaninchen, lächelte dabei aber sanft. Philipp hingegen ignorierte sie weiterhin und sprach mit dem Kellner, der soeben an ihren Tisch getreten war.

Sie schielte wieder nach rechts. Seine unverhoffte, reine Aufmerksamkeit zog sie in ihren Bann. Was wollte er von ihr? Wieso musterte er sie so unverhohlen? Ihr wurde übel.

Sie legte die Serviette auf den Tisch, schob den Stuhl nach hinten und stand auf. Nun hatte sie den dringenden Wunsch nach Erleichterung auf der Toilette. Philipp diskutierte gerade umständlich und in holperigem Französisch mit dem Kellner über die Möglichkeit einer klaren Hühnersuppe, so dass sie ihn nicht weiter stören wollte. Sie zeigte mit dem Zeigefinger Richtung Toilette, er nickte gedankenverloren und sprach weiter mit dem Kellner. Ohne sich nochmals umzudrehen, verliess sie das Gartenrestaurant, um drinnen nach dem WC Ausschau zu halten.

Sie schob die Türe auf, die zu den sanitären Anlagen führte. Eine Reihe Toilettenkabinen war nun vor ihr, sie wählte wie immer nicht die nächstbeste, sondern die zweithinterste – eine merkwürdige Marotte ihrerseits. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass die Klopapierrollen auf den vorderen Toiletten sowieso immer aufgebraucht waren.

Kaum hatte sie den Riegel der Kabinentür vorgeschoben, als sie bereits die Wogen in sich aufkommen spürte: Sie erbrach sich direkt in die Schüssel vor ihr. Kurz und heftig kamen die Stösse aus ihrem Magen, dann war Ruhe. Die Austern waren draussen. Sie spülte.

Schweissgebadet, doch erleichtert, schloss sie die Türe wieder auf. Sie nickte einer Frau zu, die sie angeekelt anschaute, dann aber den Raum durch die Türe verliess. Wo waren die Waschbecken? Sie drehte sich im Kreis und entdeckte dann etwas abseits eine Nische, die ihr beim Betreten des Raumes gar nicht aufgefallen war. Dort wusch sie sich langsam die Hände, beugte sich bis zum Wasserhahn vor, um den Mund auszuspülen. Das kühle Wasser fühlte sich gut an auf ihren trockenen Lippen. Sie spürte, wie ihre Temperatur sank, wie sie sich beruhigte und die Welt wieder ihren gewohnten Lauf zu nehmen schien.

„Ciao. Ich bin Antonio. Und wie heisst Du?“ Die Stimme aus dem Off liess sie erstarren. Sie wirbelte herum und sah ihn vor sich.

Er hatte sie auf Italienisch angesprochen. Seine Augen waren grün. Oder braun? Sie konnte es nicht genau erkennen. Die Haare fielen ihm lockig ins Gesicht und er hatte wieder dieses Lächeln auf den Lippen, das sie verunsicherte. Sie räusperte sich. „Ich bin Amelia.“ Ihre Stimme schien ihr nicht mehr gehorchen zu wollen. Mein Gott, klang sie immer so komisch? Oder lag es nur an ihrem Schul-Italienisch? Verlegen fuhr sie sich mit der rechten Hand über das blonde, schulterlange Haar. Wann hatte sie sie zum letzten Mal gewaschen? Fielen sie luftig genug? Dann merkte sie, dass immer noch das Wasser lief, und sie drehte hastig am Griff, um das Wasser abzustellen.

Er schien es gar nicht zu bemerken und sprach einfach weiter, schaute nur sie an und sonst gar nichts. „Amelia… ein schöner Name. Du bist mir aufgefallen im Restaurant, ich musste Dich einfach ansprechen. Du bist so wunderschön. Du raubst mir den Atem, wirklich. Bitte verzeih, dass ich Dich einfach anspreche, aber ich musste es tun, ich hätte es sonst mein Leben lang bereut. Von wo bist Du, was machst Du in Monte Carlo? Erzähl mir von Dir!“

Die Worte schienen nur so aus ihm herauszusprudeln. Amelia blieb zuerst stumm, sie war sich nicht sicher, ob sie alles ganz richtig verstanden hatte. Es konnte doch nicht der Wahrheit entsprechen, dass er ihr soeben gesagt hatte, dass sie wunderschön sei? Atemberaubend? Entsprang dieses Gespräch nicht einfach ihrer Phantasie? Doch das tat es nicht. Amelia blickte sich nochmals um. Sie befand sich tatsächlich in der Toilette einer Brasserie in Monte Carlo und sah sich einem Mann gegenüber, der ihr dorthin gefolgt war. Sie war fasziniert von ihm, ohne dass sie wusste, weshalb. Sie antwortete langsam, vorsichtig artikulierend: „Ich komme aus Zürich in der Schweiz. Ich bin hier in den Ferien – mit meinem… Freund. Und Sie?“

Er ignorierte ihre Frage und auch, dass sie ihn gesiezt hatte. „Dein Freund? Der schaut Dich doch kaum an, Du bist ihm egal. Lass ihn bleiben. Mir bedeutest Du schon jetzt so viel.“ Er lächelte sie charmant und liebenswürdig an, machte einen Schritt auf sie zu und berührte sie sanft am rechten Oberarm. Die Härchen an ihren Armen stellten sich empor, jede Zelle ihres Körpers schien unwillkürlich auf den Fremden zu reagieren. „Wie kann ich Dir etwas bedeuten, Du kennst mich doch kaum“, entgegnete sie abwehrend. „Ich kann das nicht ernst nehmen.“

Sie wollte sich an ihm vorbeiwinden, um wieder zurück zu Philipp zu gehen, der bestimmt schon auf sie wartete. Doch Antonio versperrte ihr mit seinem Körper, seiner ganzen muskulösen athletischen Masse den Weg, hielt sie nun eindringlich am Arm fest und fixierte sie mit seinem Blick. „Warte. Ich weiss ganz einfach, dass uns etwas verbindet, ich weiss noch nicht, was es ist, aber ich möchte es herausfinden. Ich möchte Dich kennen lernen. Du kannst nicht gegen das Schicksal handeln. Bitte, gib mir wenigstens Deine Telefonnummer, bevor Du gehst. Ich möchte Dich nicht verlieren, jetzt, wo ich Dich gefunden habe.“

Perplex stand sie da. Sie fühlte eine Art der Beklemmung in sich aufkommen, die sie nicht einzuordnen wusste. Aber sein Interesse schmeichelte ihr. Ihre Telefonnummer würde sie ihm dennoch nie geben. „Ich gebe niemals meine Telefonnummer an Fremde. Ich muss zu meinem Freund zurück. Er wartet bestimmt schon.“

Sie standen sich immer noch gegenüber. Seine Augen waren grün. „Amelia, im Leben muss man manchmal etwas wagen. Ich spüre einfach, dass es zwischen uns etwas zu erforschen gibt. Höre auf Dein Herz, gib mir eine Chance. Ich wohne eigentlich in Mailand und hätte heute gar nicht hier sein sollen. Aber hier habe ich Dich getroffen – das kann doch einfach kein Zufall sein!“

Sie fühlte sich schwach. „Ich werde es mir überlegen“, flüsterte sie, „doch ich muss jetzt gehen. Er wartet auf mich.“ Ihre Körper berührten sich, als sie sich hastig an Antonio vorbeischob.

Wenig später sass sie Philipp atemlos und mit hochrotem Kopf wieder gegenüber. Er löffelte bereits an seiner Suppe und bemerkte nicht, wie zerstreut Amelia in Wirklichkeit war. So assen sie schweigend ihre Mahlzeit. Amelia schielte mehrmals nach rechts, doch da war niemand, der ihren Blick erwidert hätte. Sie war wieder alleine. Und irgendwie schmerzte sie das mehr, als sie gedacht hatte.

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