Das ist die perfekte Socke

Schon seit längerem trage ich dieses Thema mit mir herum, das mir sehr am Herzen liegt das mich nahe an den Herzinfarkt bringt. LadyGaga und ihre Socken. Wobei es nicht nur die Socken sind. Die Unterhosen. Die Leggins. Die Jeans (ganz schlimm!). Die Röcke. Strumpfhosen! T-Shirts. Langarm-Shirts. ALLES. Jeden Tag erlebe ich aufs Neue den Spiessrutenlauf: Kriege ich sie heute in Kleider, ohne angeraunzt zu werden? Zieht sie etwas Vernünftiges an, ohne rumzumaulen? Ohne dass ich innerlich leise auf 10 zählen muss? Ohne selbst wutentbrannt aus dem Zimmer zu stürmen, weil jetzt dann gleich ein Lämpchen in meinem Hirn durchschmort? Nein.

Als Baby war es das leichteste auf der Welt, LadyGaga anzuziehen – das lernt man ja meist erst im Nachhinein zu schätzen. Sie half immer mit ihren Ärmchen mit, und auch mit ein, zwei Jahren, lief alles problemlos. Dann, irgendwann letztes Jahr, fing es an. Seither «chrüselet» alles, juckt also, ist zu eng, zu gross, zu klein, zu bäh. Mittlerweile kaufe ich nur noch Kleidungsstücke, wenn sie sie anprobiert. Und auch dann bin ich nicht vor der Sockenfalle gefeit. «NEEEEEIIIIIN!!! Blöde Socke. Blöd. Blöd!!! BLÖD!!!», brüllt und schimpft sie und zieht die Socken wieder aus. Und wieder an. Und wieder aus. Nächste Socke. Übernächste Socke. Auf dem Boden in ihrem Zimmer türmen sich die Sockenberge. Die Naht macht sie offenbar wahnsinnig. Und mich gleich mit. Früher hatte ich kein Verständnis und war überfordert damit. Ich habe sie ausgeschimpft, war gereizt. Erfolg: Null. Mittlerweile verstehe ich, dass sie die Kleider offenbar echt stressen, dass sie zu den sog. hochsensiblen Kindern gehört, was Kleidung anbelangt. Eine Etikette im Kleid macht sie schlichtweg wahnsinnig. Sie spürt jede Naht. Ich verstehe das jetzt alles. Ich unterstütze sie, wo es nur geht. Und dennoch bringt sie mich an den Rand des Wahnsinns damit…. Ich möchte euch das Problem an drei kurzen Beispielen zeigen.

Situation 1

LadyGaga möchte sich partout nicht alleine anziehen, obwohl sie ja in die Vorschule geht und sich dort auch alleine für den Sportunterricht umziehen muss. Also übe ich mit ihr immer und immer wieder, wie sie sich alleine anziehen kann. Ich schaue ihr zu, wie sie die Socken anzieht. Sie fängt an zu brüllen, reisst sich die Socken wieder vom Fuss. Ich rede mit Engelszungen. «Dann probier halt eine andere Socke, irgendeine wird schon gehen.» LadyGaga beruhigt sich wieder, das Ganze beginnt von vorne. Und wieder. Das Gleiche mit sämtlichen Kleidungsstücken. Mein innerer Geduldsfaden ist irgendwo zwischen Hose und T-Shirt gerissen und ich beisse die Zähne zusammen, um nicht zu explodieren. Die Stimmung sinkt in den Keller, LadyGaga fängt an, mich wirklich frech anzuraunzen. Ich stehe auf und verlasse wortlos das Zimmer. Deeskalation, so geht es nicht weiter. Meine Tochter heult, weil sie weiss, dass sie zu weit gegangen ist und ihr das nun Leid tut. Aber auch, weil sie sich unverstanden und ungerecht behandelt fühlt. Ich lasse sie fünf Minuten alleine weinen, um auch mich selber wieder zu erden. Sie kommt schniefend zu mir, entschuldigt sich und zieht anstandslos die Kleider an. Ommmmmm.

Situation 2

Beginnt wie Situation 1. Bevor mir der Geduldsfaden reisst, sage ich freundlich zu LadyGaga: «Weisst Du was? Ich gehe jetzt ins Bad und putze mir die Zähne, dann kannst Du schon mal ohne mich probieren, die Socken anzuziehen, ich werde sonst ganz nervig und pampig und dann sind wir beide mies drauf. Wollen wir das so probieren?» Sie nickt fröhlich.
Ich putze mir also die Zähne. Als ich zurückkomme, ist sie fixfertig angezogen und strahlt mich stolz an. Ich traue meinen Augen nicht. Yessssss!

Situation 3 (heute Morgen)

«LadyGaga, zieh Dich doch alleine an, so wie das letzte Mal, das hat doch super geklappt.» Sie nickt und knallt die Türe vor mir zu. Ich darf nicht ins Zimmer rein, höre sie aber drinnen hantieren und bete, dass sie nicht plötzlich im Sommerkleidchen vor mir steht. Es vergehen Minuten um Minuten. Ich höre sie mit sich selber sprechen, Rollenspiele, Mia and me. Okkkkayyy, wenn das beim Anziehen hilft….?! Ich klopfe mal schüchtern an: «Du, LadyGaga, warst Du denn schon auf dem Klo? Wie weit bist Du denn?»
«Geh raus. Du sollst mich machen lassen!»(Beachten Sie bitte, dass meine Tochter fast fünf ist – und nicht fast fünfzehn!!)
«Ja, aber hast Du denn wenigstens schon was an? Du musst in 15 Minuten gehen und wir müssen noch Zähne putzen, Haare bürsten, Schuhe und Jacke anziehen…»
Sie verbarrikadiert die Tür. «Ich mach das Fenster auf, um zu sehen, wie kalt es draussen ist», sagt sie. Super, meine Erziehungsmethoden fruchten ja wunderbar. Nicht. Ich will die zarten Erfolgschancen aber nicht verringern, indem ich ihr ihre Autonomität wieder nehme. Also räume ich stattdessen in Copperfields Zimmer gegenüber dem Flur Kleider weg. Ihre Türe ist immer noch zu. Zehn Minuten, bis sie gehen muss. Tick. Tack. Tick. Tack. Und ich hab keine Ahnung, was sie anhat. OB sie etwas anhat. Ich werde nervös.

Ich klopfe nochmals. «LadyGaga, ich muss jetzt echt wissen, wie weit Du bist.» Ich mache die Tür auf. Vor mir steht in einer Kleiderfontäne LadyGaga, die gerade einer Kontorsionistin gleich versucht, sich ZWEI Leggins übereinander anzuziehen. Also das Kind, das alle Kleider zu eng findet. Zwei Leggings. LadyGaga schimpft: «Die blöden Leggins, das klappt einfach nicht. Ich wollte doch zwei nehmen, weil es kalt ist draussen.» Oben hat sie einen dicken Pulli an. Ich seufze. Sie schimpft jetzt über den Pulli und zieht ihn wieder aus. Jetzt die Leggins zu wechseln, liegt zeitlich und nervlich nicht drin. Also die dünnen Leggins mit Stulpen drüber. Sie will ein T-Shirt anziehen, ich verlange aber, dass es ein Langarm-Shirt ist. Sie mault. Widerwillig geht sie aufs Klo, putzt sich die Zähne, und ich kämme unter Protestgeheul ihre Haare, die wie ein Vogelnest in alle Richtungen stehen. Sie schimpft jetzt passenderweise wie ein Rohrspatz. Ich atme. Immerhin hat sie Socken an. Zwei unterschiedliche zwar, aber es sind definitiv Socken.

Unbenannt

Deshalb lege ich die Socken auch nicht mehr paarweise in den Schrank, sie versucht eh 10 Stück einzeln an, bevor sie zwei für gut befindet (jeden Tag alternierend, es sind nicht immer die gleichen Socken gut).

Und ich denke an das Lied von Juli und summe vor mich hin:

Das ist die perfekte Socke
Das ist der perfekte Tag
Lass‘ dich einfach von ihr tragen
Denk‘ am besten gar nicht nach
Das ist die perfekte Socke
Das ist der perfekte Tag
Es gibt mehr als du weisst
Es gibt mehr als du sagst.

Offenbar haben wir nicht nur das Hochsensible Kind als Thema, sondern es handelt sich auch noch um eine Alltagssituation, die danach schreit, Grenzen auszuloten, sich abzugrenzen, Selbständigkeit zu üben. Boah, wie anstrengend!

 

Wie sieht die Anziehproblematik bei euch aus? Habt ihr Tipps für mich und meine Leser? Ist es bei euch same, same but different? Ich bin gespannt.

12 thoughts on “Das ist die perfekte Socke

  1. Liebe Mama on the rocks,

    schon bei der dritten Zeile dachte ich, Oh, mir war gar nicht aufgefallen, dass Lady Gaga ein HSK ist 😉

    Genau SO sieht das Anziehen bei Flummi aus! Wir legen die Sachen abends raus, sie verspricht, das dann auch anzuziehen und sich NICHT umzuentscheiden, aber wenn sie dann leise vor sich hin weint, weil es eben scheuert, drückt, links enger ist, als rechts… dann zieht sie sich doch erneut um!

    Ein bisschen besser ist es geworden, weil sie inzwischen weiß, was sie gut tragen kann und das dann gleich aussucht, aber eine drückende Socke lauert doch immer!

    Ich wünsche viel Geduld und bequeme Klamotten!

    Liebe Grüße
    @Endwinterwunder

  2. Ach ja das mit dem Anziehen. Man glaubt ja gar nicht wie kompliziert das sein kann. Ich war wirklich so naiv und dachte, dass meine im Alter von 4-5 kompliziert war…. tja. In 10 Jahre darauf ist es mindestens genauso schlimm -.-
    Da hätte ich lieber jede Woche eine lange Wirtschaftsprüfung ^^ Das schont meine Nerven deutlich weniger!

  3. Was die scheuernden Nähte betrifft habe ich in einer Neurodermitis- Schulung den Tipp erhalten, die Sachen auf links anzuziehen. Gerade bei Unterwäsche keine schlechte Lösung.

  4. Hihi…ich kann mir nicht helfen, bei allem Mitgefühl für dich finde ich Lady Gaga einfach so reizend und sympatisch mit ihren Marotten :-).
    Noch (!) lässt sich mein Zwerg morgens zum Glück relativ problemlos fertig machen. Allerdings beginnt sie bereits Nachmittags, sich nach ihren eigenen Vorstellungen umzuziehen, was nicht selten im 5-Lagen-Look endet. Dabei bedient sie sich unter anderem auch am Kleiderschrank der Großen (wenn sie aus dem Haus ist). So kommen dann auch mal spannende Stilbrüche à la Winterjacke mit Bauchtanzkostüm dabei raus. Kleine Tobsuchtsanfälle natürlich inbegriffen, denn nicht immer sitzt alles so, wie es ihrer Meinung nach sollte. Und ich? Atme dann einfach tiiiiieeef durch. Ommmmm…..

  5. Hochsensibilität – wusste gar nicht, dass es sowas gibt. Zu meiner Zeit hat's eigentlich bei solchen Dingen immer geheißen: "Stell dich nicht so an" oder "Verwöhnte Göre, die nix auf die Reihe bekommt". Gott sei Dank ist das ja heute nicht mehr so. Vieles, was früher nicht bekannt war, wird heute zunehmend erforscht. Alleine was es an Förderungen für bedürftige Kinder gibt … Ich bin wirklich froh!

  6. Wahnsinn. Gibts dasselbe Kind denn nochmal??? Bei uns hilft aber: die Anziehsachen am Abend vorher rauszulegen. Dauert dann zwar auch, bis die an sind, aber wenigstens ist klar: Alternativen gibt es nicht. Und zum Glück ist gerade Winter, also Strumpfhosen-Zeit und die Strumpfhosen haben entweder keine Nähte oder man spürt sie nicht so.

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