Mein Flug-Bus-Abenteuer in Berlin

Ich glaube, ich bin geheilt. Meine Flugangst ist Peanuts, seit ich letzte Woche mit Kindern und Mann nach Berlin geflogen bin. Und das kam so:
Der Hinflug war am Donnerstag um 8.35 Uhr ab Zürich. Wir mussten also um 5 Uhr aufstehen, um bereits vor 6 Uhr mit den Kindern Richtung Flughafen zu fahren. Gut gewählte Flugzeit, nicht wahr?! Da wir in die Rush Hour um Zürich kamen, waren wir relativ knapp vor Ort. Also flugs Koffer abgeben und durch die Sicherheitskontrolle.
Im Flugzeug haben wir uns ich mich in Hinblick auf meine Flugangst für folgende Konstellation entschieden: LadyGaga am Fenster, ich in der Mitte (ich muss auf den Himmel/Horizont fokussieren und das Fenster sehen, leichte Platzangst!), mein Mann mit Copperfield auf dem Schoss am Gang. Copperfield war sehr wach und sehr interessiert an seiner Umgebung und begutachtete mit äh Hingebung die Bord-Sicherheitskarte. Leute, ist das eng mit Kleinkind auf dem Schoss im Flugzeug!! Der Kleine wurde unruhig. Ich spürte Nervosität in mir aufkommen. Wir füllten Copperfield mit Früchte-Smoothies ab. LadyGaga war aufgedreht, überdreht, verdreht. Ich erklärte ihr also auf ihre vielen Fragen ganz cool, wie das so funktioniert beim Starten. Alles hüstel easy. Innerlich war ich schweissgebadet. Äusserlich konnte ich mir aber nix anmerken lassen. Ich konzentrierte mich auf meine Tochter. Copperfield war beim Papa. Immer wieder Panikanfälle, die ich ähnlich einer Wehe veratmete.Dann der Start. LadyGaga juchzte beglückt auf und rief in dem Moment, als wir den Boden verliessen: «So toll!»
Und wisst ihr was?
Für einen kurzen Moment dachte ich tatsächlich das Gleiche. Da war keine Panik, sondern nur ein Glücksgefühl: «Das ist ja wirklich sautoll!» Sie hatte mich angesteckt mit ihrer Euphorie. Dazu kam dann aber auch der dröge Gedanke: Naja, wenn ich sterbe, dann ist meine Familie wenigstens bei mir und ich muss sie nicht zurücklassen.
Den Rest des einstündigen Fluges verbrachte ich damit, mit LadyGaga zu diskutieren, warum ich jetzt die Fensterblende unbedingt OBEN haben musste, auch wenn es sie blendete (Fokus!). Copperfield ass sich in dieser Stunde unbeschönigt einmal durch die gesamte Bordküche und war nonstop am Futtern. Bei der Landung weinte er wegen des mangelnden Druckausgleichs, aber er packte es insgesamt ganz gut. Sein erster Flug! Und die längste Stunde meines Lebens.
Dachte ich.
Unser Rückflug ging am Freitag um 19.10 Uhr. Um 17 Uhr standen wir an der Busstation des TXL-Buses, der direkt zum Flughafen fährt und dafür von unserem Startpunkt aus regulär eine halbe Stunde braucht. Um 17.25 Uhr noch kein Bus in Sicht. Gerade als wir uns entschieden, doch ein Taxi zu nehmen, trudelte der Bus ein. Wir stiegen ein. Und was soll ich sagen? Es war die Busfahrt der Hölle höchstpersönlich.
Der Bus füllte sich immer mehr und mehr. Draussen sahen wir Kolonnen an Autos stehen. Wir tuckerten durch Berlin, als wären wir in einem Sightseeing Bus. Nur konnte man nichts sehen. Wir standen zu dritt (Copperfield sass im Buggy) im Mittelteil des Buses, eingequetscht wie die Ölsardinen. Einmal kletterte eine Frau um die 40 über den Buggy samt Copperfield. Sie blickte mich entschuldigend an, ich schaute wütend zurück und sagte so was wie «Muss das jetzt echt sein?!». Keine zehn Sekunden später hielt der Bus abrupt. Die Frau verlor das Gleichgewicht. Wenn ich nicht mit voller Wucht ihren Hintern weggeschoben hätte, wäre sie mit ihrem ganzen Körpergewicht auf Copperfield drauf gefallen. Echt jetzt! Ich verfluchte sie. Ihr war es peinlich. Zu Recht! Geht gar nicht.
Es war Copperfields Abendessenszeit. Ich wurde noch nervöser. Über 30 Minuten im Bus, wie lange konnte denn die Fahrt noch dauern? Copperfield verhielt sich aber mucksmäuschenstill und beobachtete Schnuller-nuckelnd, also aufgeregt, was um ihn passierte. Er schien zu spüren: jetzt nicht schreien. LadyGaga war hungrig. Und so müde von den zwei Tagen (wir auch, aber als Erwachsene zählt das nicht)! Wir konnten einen Sitzplatz für sie ergattern. Der Bus war brechend voll. LadyGaga schlief im Sitzen ein und hing auf dem Stuhl wie eine Marionette ohne Schnur. Die Uhr tickte. Ich twitterte verzweifelt meine Angst und stellte fest, dass Mama Schulze, die ich eigentlich am Flughafen noch treffen wollte, im gleichen Bus sass. Nur konnten wir uns eben aufgrund der stinkenden Menschenmasse nicht sehen. Auch wir schwitzten. Und beteten still. Wir würden den Flug verpassen, vier neue Flugtickets, Hotelzimmer, Abendessen, nölige Kinder…! Die nackte Panik kroch mir das Genick hinauf. Ich hatte Angst.
Nach über einer Stunde (!) im Bus kamen wir nach 18.30 Uhr am Flughafen an. Ihr erinnert euch: Der Flug ging um 19.10 Uhr. Vollbepackt rannten wir alle drei, ach was sage ich, alle vier zu unserer Abfertigungshalle. «Lassen Sie uns durch, wir verpassen unseren Flieger!», brüllte ich in die Halle. Zum Glück hatte ich uns schon am Vorabend online eingecheckt, wir musste nur noch das Gepäck abgeben. Die Frau am Schalter versuchte, mich zu beruhigen. Ich hatte das Gefühl zu hyperventilieren.
Wir kamen komplett ausser Atem zur Sicherheitskontrolle, zogen Jacken, Schals, Schuhe aus. Mein Mann hievte Copperfield aus dem Buggy. Ach, habe ich schon gesagt, dass mein Mann zu dem Zeitpunkt krank war, mit Fieber und so? Sorry, das ging in der Hektik ja total unter. Er war also seit dem Vortag krank (logo, sind ja auch Ferien) und musste sich ebenfalls stark zusammenreissen für uns. Wir legten also unsere sieben Sachen auf das Gepäckband zur Sicherheitskontrolle.
Und ich?
Ich zitterte wie Espenlaub. Ich war komplett von der Rolle und zu nichts zu gebrauchen. Die Lunge schmerzte von der ungewohnten Rennerei. Ich hatte das Gefühl, vor Stress und Schmerz gleich kotzen zu müssen. Ich war kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Ich heulte Rotz und Wasser und wurde von den Angestellten des Flughafens geflissentlich dabei ignoriert. LadyGaga, die ganz ganz stark in der Situation war (hach, ist sie gross!), sagte zu ihrem Papi: «Gib mir bitte meinen Rucksack!» Sie öffnete den Reissverschluss und zückte ein Päckchen Eisköniginnen-Tempos heraus. «Da, Mami. Alles ist gut. Alles ist gut, wir haben es geschafft.» Ich zitterte. Schämte mich für das Weinen vor versammelter Mannschaft. «Jetzt denken alle, dass ich wegen Flugangst weine!», hämmerte es in meinem von plötzlich mörderischen Kopfschmerzen geplagten Kopf. «Flugangst! Ich! Dabei hat mich die Busfahrt zum Heulen gebracht!»
Ihr seht, die ganze Situation entbehrte nicht einer gewissen Situationskomik.
Nach der Sicherheitskontrolle kaufte ich an einem Imbissstand noch schnell ein paar Wiener Würstchen, so dass die Kinder endlich etwas essen konnten. Und ich versuchte, wieder zu atmen.
Was im Flugzeug folgte, war nicht zu vergleichen mit dieser Angst, den Flug zu verpassen und mitsamt Kind und Kegel zurückbleiben zu müssen. Also: Ja, ich bin wohl geheilt.
Nur so war es möglich, dass ich den Tatbestand, dass LadyGaga bei einer Rückflugzeit von einer Stunden und fünf Minuten bei Erreichen der Flughöhe piepste: «Mami, gibt es eigentlich ein Klo im Flugzeug?»
Warum nochmal sass sie ausgerechnet am Fenster?

5 thoughts on “Mein Flug-Bus-Abenteuer in Berlin

  1. Oh fein, ich hoffe meine Prinzessin ist genau so cool wie deine beiden, wenn sie in zwei Wochen zum ersten Mal in einen Flieger steigt. Und es freut mich zu sehen dass es nicht nur mir so geht: die eigenen Probleme werden ganz klein, wenn man der Verantwortliche Erwachsene ist.

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