Eltern in der Apotheke – ein Blick hinter die Kulissen

Christoph, ein guter Kollege von mir, ist seit über 30 Jahren Apotheker in der Innerschweiz. Beruflich arbeiten wir sehr oft zusammen. Vor kurzem haben wir uns privat über das Thema Mütter in der Apotheke unterhalten. Spontan dachte ich: Das muss unbedingt auf den Blog! Hier also ein Blick hinter den Tresen einer Apotheke.

CAB 20.04.2016 B

Christoph, Du siehst regelmässig Schwangere und Eltern mit ihren Kindern in Deiner Apotheke. Was war Dein aufregendster Kundenbesuch?

Das war eine Akademikerin – eine Lehrerin, die Mutter wurde. Sobald das Kind ein wenig hustete, stand sie sofort in der Apotheke und verlangte nach Medikamenten. Am liebsten hätte sie das Kind jeweils direkt in die Klinik gebracht, so besorgt war sie die ganze Zeit. Ich habe mehrfach versucht, ihr zu erklären, dass sie auf ihren Mutterinstinkt hören soll und dass die Natur gut zu uns ist. Dass alle kleinen Kinder einmal Fieber haben, Schnupfen, Durchfall. Die Frau ging aber immer vom Worst-Case-Szenario aus, rief regelmässig an, um völlig panisch nach Rat zu fragen. Am Ende kam sie nicht mehr zu mir in die Apotheke, wohl weil sie kein Vertrauen mehr zu mir hatte. Das war aber ein Einzelfall.

Du bist schon über 30 Jahre Apotheker. Was für Unterschiede zu früher erkennst Du bei den Eltern?

Früher hatten die Eltern viel mehr Vertrauen in die Gesundheit. Man wusste einfach, dass es sehr viel braucht, bis ein Kind in einem kritischen Zustand ist. Oft wurden Wadenwickel gemacht. Heute ergreift man viel schneller schulmedizinische Massnahmen, geht sofort zum Kinderarzt. Die Hotline unseres Kinderspitals zum Beispiel ist mittlerweile kostenpflichtig, weil so viele Eltern anrufen. Ausserdem höre ich in der Apotheke oft: «Wissen Sie, mein Kind nimmt das nicht, es schmeckt nicht.» Oder: «Für ein Zäpfli (Suppositorium) hält mein Kind einfach nicht hin.» Da muss ich mich dann jeweils zusammennehmen, um nicht zu sagen, dass konsequentes Handeln manchmal nicht schadet.

Warum geht man heute immer vom schlimmsten aus?

Das ist die allgemeine Hysterie der heutigen Zeit. Das ist bei den Erwachsenen ja nicht viel anders. Zum Beispiel schickt man Patienten mit Kopfschmerzen gerne mal zur (teuren!) Magnetresonanztomografie (MRI), um sie sicherheitshalber durchchecken zu lassen. Mich erstaunt, dass der Mutterinstinkt bei den Müttern kranker Kinder heute oft untergeht.

Was rätst Du Eltern, deren Kleinkind seit Tagen hohes Fieber hat?

Ich empfehle ein Fieberzäpfchen oder Sirup. Hohes Fieber bei kleinen Kindern ist unter 40 °C nicht gefährlich. Auch Essigsöckli helfen, und das Kind sollte viel trinken.

Kannst Du die Essigsöckli bzw. Wadenwickel genauer erklären?

Man nimmt zimmerwarmes Wasser, giesst etwas Essig hinein und tränkt dann ein grosses Taschentuch oder eine Mullwindel darin. Anschliessend wickelt man dieses dann bis zu den Knien des fiebrigen Kindes und stülpt Socken darüber. Nach einer halben Stunde kann man die Wickel wieder abnehmen. Das ganze Prozedere kann man bei Bedarf wiederholen. Die Füsse sollten aber unbedingt nicht kalt sein bei der Anwendung.

Was fällt Dir bei der Klientel der Schwangeren besonders auf?

Schwangere kommen in die Apotheke mit Kopfschmerzen, Erbrechen, Magen-Darm-Problemen. Die Frage lautet dann immer: «Darf ich das und das in der Schwangerschaft nehmen?» Heute darf man einer Schwangeren aber nur noch ein Medikament empfehlen, wenn es Studien dazu in der Schwangerschaft gab. Aber welche Schwangere nimmt schon an medizinischen Studien teil?! Es gibt Medikamente, die seit mindestens 30 Jahren auf dem Markt sind, von denen wir Erfahrungswerte haben – und trotzdem dürfen wir Apotheker sie nicht empfehlen. Lieber quält man die Schwangere und das ungeborene Kind. Das verstehe ich nicht.

Vielen Dank, Christoph, für das Interview! Ich schätze Deine jahrzehntelange Expertise sehr, und Deinen Rat, mehr auf unseren Mutterinstinkt zu hören, finde ich ganz toll.

3 thoughts on “Eltern in der Apotheke – ein Blick hinter die Kulissen

  1. Sehr interessant ! Ich warte auch lieber erst mal ab und gebe nicht gleich was. Meine Große fiebert häufig und auch hoch. Das weiß ich einzuschätzen und gebe nicht pauschal ab 39° was… Ich habe aber auch einige Mütter im Bekanntenkreis, die ohne Reiseapotheke nicht mal zum Spielplatz gehen 🙂

  2. Sehr interessant. Ich bin auch dagegen immer gleich zu Medikamenten zu greifen und eigentlich sammelt man beim eigenen Kind ja recht schnell Erfahrungswerte und weiß die Situation gut einzuschätzen. Trotzdem muss auch ich viel öfter zum Kinderarzt als mir lieb ist, weil ich dann die Krankschreibung für meinen Arbeitgeber benötige – das fiebrige Kind geht schließlich so oder so nicht in die Betreuung.

  3. Vielen Dank für den tollen und interessanten Artikel, habe ihn gleich geteilt. Kann alles unterschreiben, besonders letzten Punkt. Ich hatte wegen dem Nasenspray-Verbot in der Schwangerschaft eine Nebenhöhlenentzündung und die Ärztin im Krankenhaus gab mir dann endlich was Abschwellendes. Das tat mir gut und dem Baby hat es auch nicht geschadet. Laura

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert