Copperfield und das TING-Geräusch die 214te

Der Termin steht, Copperfield wird nächsten Dienstag operiert und ich habe ganz schon Panik deswegen. Aber da muss man wohl durch. Gestern war nun der Termin zur OP-Vorbesprechung an der Klinik. Drei Gespräche hatten ich und Copperfield vor uns: die Stationsärztin, die Anästhesistin und die Pflegefachfrau.

Ausgestattet mit Knabberzeugs, Getränken, Spielsachen und einem nicht ganz ausgeschlafenen Zweijährigen (!) nahm ich also die zweistündige Tour-de-Spital in Angriff.

Das erste Gespräch verlief ganz gut. Wir mussten danach zurück in den Warteraum, bis wir wieder aufgerufen wurden. Im Wartesaal befanden sich bereits zwei Frauen: die eine um die 45, die andere eine Ü75. Copperfield ging sofort zu einem Puzzle, mit dem er bereits vorhin gespielt hatte. Ich begrüsste die beiden Frauen und setzte mich zu Copperfield.

Der fing plötzlich an, die einzelnen Puzzleteile einzeln und im hohen Bogen vehement durchs Zimmer zu werfen. «Copperfield, lass das bitte!», sagte ich streng. «Ein!», schallte es vom Zwerg zurück. «Ein!» «Doch, Du räumst das wieder auf. Du hast das mit Absicht gemacht.» «EIN!», brüllte er. «Copperfield, ich helfe Dir dabei, schau ich nehme dieses Teil und Du hilfst mir mit dem da.» «EIN!!!» Er wurde immer lauter.

TING

Ich gab ihm einen Schnuller, damit er leiser wurde und ich die exponierte Position im Raum verändern konnte. Brachte nur nix.

Er reklamierte weiter.

«Schatz, ich möchte jetzt gerne, dass Du mir beim Aufräumen hilfst.»

«EIN!!!»

TING.

Diese Ohnmacht in mir.

Copperfield geht gerne ab wie eine Rakete (c) Fotolia
Copperfield geht gerne ab wie eine Rakete. (c) Fotolia

Ich hatte zwei Möglichkeiten.

Der Einfachheit halber konnte ich die Teile schnell selber zusammenräumen. Dann würde er nicht mehr rumbrüllen und keiner der anderen Patienten im Zimmer würde sich gestört fühlen. Aber alle hatten gehört, was ich gesagt hatte, was für eine Blamage vor mir selber. Ausserdem war es quasi eine geschlossene Gruppe, es gab kein Entrinnen. „Ich will kein Pinguin sein!“, schoss es mir durch den Kopf (das ist ein Familieninsider). „Ich lasse mir nicht auf dem Kopf rumturnen.“ Naja nicht immer zumindest.

Die zweite Möglichkeit setzte ich kurzentschlossen in die Tat um: Ich stellte Copperfield in die Ecke des Raumes.

«EIN!» Er heulte theatralisch, trotzend. Mir brach das Herz.

Ich setzte mich auf meinen Platz zurück. Ich blickte die beiden Frauen, die mir gegenüber sassen und alles beobachtet hatten, an und zuckte entschuldigend mit den Achseln. «Es tut mir leid, aber ich muss da jetzt konsequent sein.»

Die beiden schauten mich mitfühlend nickend an. Keine beschwerte sich.

Ich fragte Copperfield wieder, ob er mir jetzt hilft. Er blieb bei seinem Nein und trotzte weiter. (Cojones hat er ja!)

Da sagte die 45-Jährige zu mir: «Ich muss Ihnen mal was sagen. Sie machen das so toll, wirklich! Was Sie jetzt an Nerven investieren, werden Sie nachher als Erfolge zurückbekommen!»

Ich lächelte sie erstaunt und dankbar an. Solidarität unter Müttern, wo gibt es denn sowas.

 

Die Situation wurde übrigens gelöst, indem die Anästhesistin aufgrund des Gebrülls eilig herbeikam und uns zur nächsten Sprechstunde aufbot. Ich habe keine Ahnung, wie die Geschichte sonst ausgegangen wäre. Was meint ihr?

 

PS Und ja, ich weiss, dass er müde war.

3 thoughts on “Copperfield und das TING-Geräusch die 214te

  1. Wenn ich dort mit Euch im Wartzimmer gesessen wäre, hätte ich wahrscheinlich dem Copperfield zugezwinkert und Dir beim Aufräumen geholfen 🙂

    Wir sind ja häufige Gäste auf dem Notfall und mein Sohn hat dort auch ab und zu „Fehlfunktionen“, vor allem wenn wir länger warten mussten (unser Rekord war 6 Stunden mit gebrochenem Arm). Ich habe immer versucht, dem mit Trost und Verständnis zu begegnen, vor allem als er noch kleiner war, denn die Kurzen verstehen ja gar nicht so richtig, was das alles soll, die Fremden, die an ihnen rumfummeln, die Umgebung, die Gerüche,…. Stress pur! Für mich war das immer der falsche Ort und die falsche Zeit, um Erziehungsprinzipien durchzusetzen.
    (aber gell, ich gehe, wenn ich das schreibe, von uns aus, also nimm es bitte nicht als Kritik!)

  2. Ich hätte mich in der Situation mit meinem Herrn Friedlich (2) vermutlich nicht auf den Kampf eingelassen, aber das bleibt ja jedem selbst überlassen. Was ich aber sagen wollte: Ich finde beeindruckend, dass du in einer so stressigen Situation die anderen Frauen angesprochen hast und dein Vorgehen erklärtest. Das machen nicht viele. Ich werde versuchen, mir das von dir abzugucken und in der nächsten Stresssituation anzuwenden. LG, snowqueen

  3. Hallo!
    Ich lese deienen Blog sehr gerne! Unsere Tochter ist jetzt 4,5 Jahre alt und hat auch bereits zweimal Röhrchen bekommen (mit 1,5 und 2,5 Jahren). Danach waren wir immer monatelang ruhig, sie war schmerzfrei und ihre Sprache war bereits einen Tag nach der OP viel deutlicher! Sie schlief dann auch wieder besser. Davor wachte sie monatelang jede Nacht auf und hatte grosse Schmerzen, konnte nicht mehr einschlafen…
    Auch tagsüber war sie sehr labil, hatte halt oft Schmerzen und musste oft viele Medikamente einnehmen. Ja, die OP ist an sich beängstigend, aber ich bin immer noch der Meinung dass es bei uns die bestmögliche Hilfe war! Es war eine grosse Erleichterung, im Nachhinein fest zu stellen, wieviele ‚Probleme‘ durch die Schmerzen verursacht waren!
    Ich drücke euch ganz fest die Daumen, danach wird’s sicher einfacher!!! Und, ja, im Wartesaal rumhängen ist immer seeehr nervenaufreibend…
    Ganz liebe Grüsse!
    Jo

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