Wie man im Homeoffice ein Telefonat vorbereitet

«Also dann, Donnerstag 10 Uhr.»

Sie legt auf. Ich habe Schweissperlen auf der Stirn.

Ausgerechnet an einem Donnerstag. Donnerstag! Der Tag, an dem ich beide Kinder zuhause habe und nur sehr schwer arbeiten kann, weil immer eines der Kinder etwas von mir will. Wie soll ich da bitte eine zu einem fixen Zeitpunkt angesetzte, längere Telefonbesprechung mit einer Kundin bewerkstelligen? Eine Besprechung, bei der ein Artikel Satz für Satz besprochen werden soll?

Eben. Also schwitze ich.


Dieses Bild ist sowas von erstunken und erlogen! © Fotolia

Donnerstag 9.00 Uhr.
Copperfield und LadyGaga halten mich seit 6.30 Uhr auf Trab. Um 9 Uhr ist Copperfield ausgepowert. Ich lege ihn in sein Bettchen, er dreht sich um und schläft sofort ein. Problem 1 gelöst. Nun zu Problem 2.

«Duuuu, LadyGaga? Wenn Du Dich jetzt anziehst und die Zähne putzt, dann darfst Du nachher Zeichentrickfilme im TV schauen. Das ist doch eine tolle Idee, oder?» So, die Karotte ist vor der Nase platziert, mal schauen, was passiert. LadyGaga guckt überrascht und strahlt.

Ich gehe ins Bad und mache mich meinerseits zurecht. Da steht LadyGaga unvermittelt und mit wütender Miene vor mir. «Dieses blöde blöde T-Shirt. DAS. GEHT. NICHT!» Ich ahne, was da kommt und bleibe ganz ruhig.

«Kratzt es?»

«JAAAA!!!», brüllt sie mich wütend an.

Ein T-Shirt, das ich frisch gekauft habe, weil alle anderen zu klein geworden sind.

«Da an den Ärmeln! Und hier hinten…» Sie dreht sich um. «Hier hinten kratzt es auch ganz fürchterlich.»

Ich stutze. Da ist tatsächlich eine Naht hinten am Rücken, anstatt auf der Seite wie sonst immer. WTF?! Und ich hatte das beim Kaufen nicht gesehen. Auch die Ärmel haben eine leichte Bordüre. Zu viel für mein überempfindliches Mädchen.

Schadensbegrenzung.
«Ich sehe es. Da habe ich echt etwas Blödes gekauft», spiele ich das Ganze herunter. «Weisst Du was, zieh es doch gleich ab und nimm ein anderes neues T-Shirt aus der Schublade, Du findest bestimmt etwas.»

Sie zieht das T-Shirt ab. Und legt sich dann sofort schmollend in unser Ehebett.

Tick Tack.

«Ist doch nicht so schlimm, zieh ein anderes Shirt an. Das war mein Fehler, das muss echt gekratzt haben. Alles OK.»

Sie schmollt immer noch.

Ich gehe die Treppe hinunter, sie folgt mir mit wütender Miene.

Unten: «LadyGaga, zieh Dich jetzt bitte an. Soll ich Dir helfen?»

Wütender Blick.

«Möchtest Du es aussuchen?»

Wütender Blick.

«Willst Du lieber ein Langarm-Shirt?»

Wütender Blick.

«Schau, nimm doch das T-Shirt hier, das hat keine störenden Nähte.»

Wütender Blick.

Tick Tack.

Ich werde langsam nervös.

«LadyGaga, ich verstehe Dich nicht. Wo ist das Problem??? Du darfst Fernsehen schauen, wenn Du angezogen bist. Ich will Dir helfen, aber ich darf nicht. Was ist los?!»

Wütender Blick.

«Sonst lassen wir den TV eben sein» (bloss nicht!!!), sage ich, um eine Reaktion zu erhalten. «Bitte LadyGaga. Warum bist Du so wütend? Erkläre es mir.»

Sie fängt unvermittelt an zu weinen. «Ich wollte Dich doch überraschen, und jetzt kann ich das nicht mehr.»

Weinend wirft sie sich in meine Arme. Ich tröste sie und versuche, nicht nervös zu werden. Sie wollte fixfertig angezogen vor mir stehen und das hat nicht geklappt. «Du findest heute bestimmt noch eine andere Möglichkeit, mich zu überraschen.» Aber LadyGaga ist untröstlich, was ich sogar verstehe. Ich war als Kind genauso. Wenn etwas nicht genau so geklappt hat, wie ich es wollte, war ich tieftraurig.

Es vergehen weitere zehn Minuten, in denen sie immer wieder weint und ich Angst habe, dass sie das Baby, das bald keines mehr ist, weckt.

Tick Tack.

Endlich vor dem Fernseher. «Such Dir eine DVD aus.»

Sie kann sich nicht entscheiden zwischen Caillou, Connie und Barbie. «Gut, dann nehmen wir Barbie, der Film geht länger», entscheide ich zu ihren Gunsten. Sicher ist sicher.

LadyGaga will dann aber nach einer längeren Evaluation (!) doch lieber Caillou.

«OK, aber wenn die DVD fertig ist, darfst Du mich nicht rufen. Mami ist nämlich am Telefonieren und Du darfst mich nicht stören, gell?»

Sie überlegt. «Dann doch lieber Barbie.»

Der Film läuft, LadyGaga hat sich zufrieden auf dem Sofa eingekuschelt.

Es ist 9.55 Uhr.

Um 10 Uhr rufe ich die Kundin an und wir telefonieren eine halbe Stunde lang ohne Störung. Wir lachen und scherzen und sind sehr professionell.

Dass es mich den ganzen Morgen gekostet hat, das Telefongespräch in die Wege zu leiten, hat sie nicht mitbekommen.

Das, liebe Leute, ist Homeoffice.

10 thoughts on “Wie man im Homeoffice ein Telefonat vorbereitet

  1. Ja, so ist das. Bzw. für mich: So war das, denn es wird zum Glück besser. Aber wenn Ferien sind oder kranke Kinder zuhause, dann sage ich dem Kunden vorher (meist per Mail), dass hier Kinder sind und man das eventuell hört. Das ist gut für meinen Blutdruck. Bisher haben alle sehr positiv reagiert, aber ich schreibe ja auch vorwiegend über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Kinderbücher, das ist vielleicht ein bisschen eine flauschige Nische?

    Viele Grüße, gern gelesen!

  2. Meine Kunden sind alle in der Pharmaindustrie, da hält sich das Verständnis eher in Grenzen. Naja, vielleicht meine ich das aber auch nur 😉 Prinzipiell, glaube ich, können wir den Gesprächspartnern heute diesbezüglich viel mehr zutrauen als früher. Homeoffice – na und?! aber man will sich halt auch keine Blösse geben, da es leicht auch als Schwäche ausgelegt werden kann. Es ist ein Seiltanz.

  3. So isses!

    Ich hatte letztens einen unverhofften Videochat mit einer Kundin. Der Mann war grad einkaufen und das Kiddo spielte leise unter meinem Schreibtisch. Während ich Blut und Wasser schwitzte und innerlich das Universum anflehte, dass sie Kundin doch bitte schnell wieder auflegen möchte.

    Naja, das Kiddo kam dann plötzlich unter dem Tisch hervor wie ein Springteufel, glotzte in die Kamera und brüllte sehr laut "Haaaarghhhhh". Kundin erschrak fast zu Tode. Mir war's unfassbar peinlich. Aber zum Glück ist die Kundin eine mit Humor.

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