Wenn es mit dem Stillen nicht klappt

2009 wurde unsere LadyGaga in der Privatklinik Hirslanden in Aarau geboren. Für mich war von Anfang an klar, dass ich stillen wollte. Es war ein Notfallkaiserschnitt, aber LadyGaga wurde mir so rasch wie möglich nach der Geburt an die Brust gesetzt, damit wir üben konnten. 4180 Gramm Frauenpower zogen und zerrten an meiner (hellhäutigen) Brust. Ich biss die Zähne zusammen, es musste einfach klappen, es musste sich so anfühlen. «Da musst Du durch!». Ich wollte die perfekte Mutter sein. Aber Stillen klappt nicht bei mir. It’s a fact.

Stillen klappt nicht

Im Akkord wurde mir über Tage kommentarlos das Baby an die Brust gelegt, die Seite gewechselt, die Taktik geändert. Mitten in der Nacht wurden wir geweckt, um zu stillen. Ein Zug von Frauen, Stillberaterinnen, Pflegenden, ja vielleicht sogar die Putzfrau (wer kann denn die Frauen unterscheiden, die sich im Krankenzimmer im Spital die Klinke in die Hand geben?!) half mir beim Anlegen des Babys. Aber meine Brüste wurden immer gereizter. Sie entzündeten sich. Bis ich nur noch heulend vor Schmerz dalag. Ich hatte versagt. Mein Baby würde verhungern, weil ich unfähig war, ihm die Brust zu geben. Ich heulte und heulte und hatte eine regelrechte Stilldepression. Im Spital sagte man mir, ich müsse es einfach weiter probieren. Schlimmer noch, das ganze Personal sah es als sein Ziel an, mich zum Stillen zu bringen. Die Damen widersprachen sich dabei in ihren Anweisungen, und ich war mitten drin im Auge des Hurrikans und wusste weder aus noch ein. Alle konnten stillen, nur ich nicht. Ich fühlte mich unvollständig, unfähig, deklassiert.

Mit eisernem Willen, später Stillhütchen (erst zuhause im Wochenbett! In der Klinik hatte mir das keiner angeboten) und Milchpumpe gelang es mir dann doch noch, die Milchmenge zu erhöhen. Aber es war nicht genug für meinen kleinen Schatz, so dass ich immer zusätzlich noch Flaschenmilch geben musste. Stillen klappt nicht immer 100%. Nun war ich gefangen im Kreislauf des Ernährens: Brust 1, Brust 2, Flasche, Wickeln. Brust 1, Brust 2, Flasche, Wickeln. Mich selbst gab es dabei nicht mehr. Nach drei Monaten gab ich frustriert, erschöpft und sehr sehr traurig auf. Ich hatte vor meinem eigenen Perfektionismus versagt und brauchte effektiv über ein Jahr, um mir das Selbstbewusstsein einer guten Mutter zu erarbeiten. Das Credo: Deckel drauf und gut ist.

Stillen beim zweiten Kind

Vor Copperfields Geburt stellte ich mir die Frage, ob ich wieder in die gleiche Klinik gehen wollte. Zu schlecht waren meine Stillerfahrungen bei der ersten Geburt gewesen. Doch da mein Arzt Belegarzt an dieser Klinik ist, war die Entscheidung aus praktischen Gründen schnell gefällt. Schliesslich wusste ich jetzt als mittlerweile erfahrenes Mami bereits, was ich will und was nicht. Und ich würde keine Fremdbestimmung mehr zu lassen.

Auch nach diesem Kaiserschnitt wurde mir das Baby direkt danach an die Brust gelegt. Ich war nervös. Copperfield saugte interessiert. Es tat nicht weh, ich war erleichtert! Doch er schlief jeweils schnell wieder ein, so dass ich abbrach. Am Nachmittag am Tag der Geburt setzte ich ihn wieder an – und ein altes Trauma riss auf. Er zog und zerrte an meiner Brustwarze, so dass ich aufheulte und ihn sofort von der Brust löste. Mir war sofort klar: Das will ich nicht! Das kann ich nicht! Ich machte mich darauf gefasst, nun vom Personal schräg angeschaut zu werden. Aber nichts dergleichen geschah. Man fragte mich nach meinem Befinden und ich konnte meine Ängste, meine Sorgen platzieren. Die Angst, wieder in den gleichen Kreislauf zu geraten wie 2009. Die Angst, nicht stillen zu können, obwohl ich es mir doch so sehr wünschte. Die Pflegenden empfahlen mir mehrere Routen: Ich könne direkt abstillen, oder aber zum Beispiel eine Weile abpumpen, um die Brust zu mehr Milch anzuregen, während der Kleine mit Glukoselösung gefüttert wird. Sobald der Milcheinschuss da sei, müsse er auch nicht mehr so an der Warze ziehen und die Situation wäre entspannter. Man war sehr freundlich und unvoreingenommen. Das tat gut. Ich konnte loslassen. Ich alleine entschied mich dazu, die Brust mittels Milchpumpe anzuregen und Copperfield vorerst nicht anzusetzen. Keiner verurteilte mich, sondern mein Entscheid wurde respektiert.

Am nächsten Tag kam die Stillberaterin und meinte, es wäre gar kein Problem, wenn ich Copperfield nicht ansetze, ich müsse mich schliesslich wohl fühlen dabei. Es nütze alles nichts, wenn ich verkrampfe oder Schmerzen habe. Ich würde dann zu viel Adrenalin produzieren und das würde wiederum die Milchproduktion hemmen. Stillen klappt nicht immer. Ausserdem könne es nach einem Kaiserschnitt immer etwas länger gehen, bis der Milcheinschuss kommt. Man war wirklich sehr nett zu mir und unterstützte mich in jedem meiner Schritte.

Copperfield vertrug die Glukoselösung nicht und erbrach sich die ganze Zeit. Es galt zu entscheiden, wie es weiterging. MEINE Entscheidung! (das war 2009 nicht der Fall gewesen). Ich getraute mich nicht, ihn anzusetzen. Also willigte ich ein, dass er Ersatzmilch bekam, bis mein Milcheinschuss endlich einsetzen würde. Nach vier Tagen und jeweils akribischem, dreistündlichem Abpumpen von NICHTS bis drei Tropfen kam am Samstag der Milcheinschuss. Aber eigentlich müsste man es eher als «Schüsschen» bezeichnen. Meine Quelle war bereits versiegt, bevor es überhaupt anfing. Aber das Personal tröstete und motivierte mich weiterhin, sprach aber auch die Möglichkeit des Abstillens an, dass es soooo viele Frauen gäbe, die nicht stillen können. Ich sei deshalb nicht weniger Mutter. Ich solle mich nicht unter Druck setzen. Am Tag 6 nach Geburt schaffte ich es auf 10 ml Muttermilch auf beiden Brüsten – das war sogar weit weniger als es bei LadyGaga der Fall gewesen war. 10 ml – alleine beim Schreiben dieser Zahl schäme ich mich, ist das nicht bescheuert?!?! Denn das ist die Wahrheit, ich bin nicht nur gefrustet, ich schäme mich dafür, dass ich nicht fähig bin zu stillen. Ich bin eine erfolgreiche Geschäftsfrau, eine Powerfrau, und ich sitze hier schreibend und heulend – und ein wenig im Baby-Blues gefangen, weil mein Körper das einfach nicht auf die Reihe kriegt. Es geht mir nicht darum, eine perfekte Mutter zu sein. Ich finde Stillen einfach schön.

stillen klappt nicht? Baby kann trotzdem schlafen
Stillen ist einfach schön – aber Stillen klappt nicht immer – Photo by Peter Oslanec on Unsplash

Stillerfolge

Am letzten Tag in der Klinik wollte ich gerade damit beginnen abzupumpen, als Copperfield Hunger anmeldete. Ich fand es bescheuert, ihn zu den Pflegefachfrauen zu bringen und ihn dort mit Flasche füttern zu lassen, während ich alleine im Zimmer sass und Milch abpumpte. Schüchtern fragte ich die Pflegefachfrau, ob es in Ordnung sei, wenn ich den Kleinen ansetze. Sie strahlte mich an und meinte: «Mama on the rocks, das ist eine sehr gute Idee. Ich finde, Sie machen das genau richtig. Klasse!» Sagte es und half mir beim Anlegen. Wieder schmerzte es. «Wissen Sie was, wir probieren jetzt nochmals mit Stillhütchen!» Und es klappte! Ich war stolz wie Bolle und schickte meinem Mann eine MMS. Stillen klappt nicht? Nicht mit mir!

Nach einer Brust hatte Copperfield natürlich nicht genug (bei der Menge..). Ich entschied mich dann aber dagegen, die zweite Brust auch noch zu geben, denn ich hatte ein gutes Stillerlebnis gehabt und nun Angst, das zunichte zu machen. Ich pumpte wieder ab. Abends gab ich Copperfield dann doch noch beide Brüste. Es klappte wieder. Aber er hatte immer noch Hunger und musste wieder das Fläschchen haben. Mir wurde schlagartig klar: Auch das wollte ich nicht. Mein Mann würde zwar jetzt zwei Wochen zuhause sein und mir helfen, Fläschchen vorbereiten und und und. Aber wie sollte das gehen, wenn ich wieder alleine zuhause war? Brust 1, Brust 2, Flasche, Wickeln? Seufz. Innerlich begann ich, mich mit dem Abstillen zu befassen.

Vor dem Austritt wollte ich unbedingt nochmals mit der Stillberaterin sprechen, um einen Stillplan festzulegen. Wir sprachen sehr lange, über meine Ängste, meine Gefühle, die Reaktionen meines Umfelds, die nicht immer sehr sensibel sind. Am Ende trennten wir uns ohne Stillplan. Sie meinte: «Stillen Sie dann, wenn es für Sie stimmt. Keine 3-Stunden-Intervalle, kein Stress, kein Druck, sondern so, wie es für Sie passt. Alles andere hat keinen Sinn. Und zuhause werden Sie vielleicht eh mehr Milch produzieren, weil Sie in der vertrauten gemütlichem Umgebung sind.»

Mit diesen Worten gestärkt machten wir uns am Montag auf den Nachhauseweg. Als ich Copperfield dann zum ersten Mal zuhause ansetzte, half mir mein Mann. Meine Tochter hüpfte aufgeregt um mich herum. Ich war gestresst, von Ruhe und Entspannung keine Rede. Der Kleine trank zwar, aber ich war das Gegenteil von glücklich und entspannt. Alle meine Nerven waren angespannt, und ich konzentrierte mich darauf, nicht wegen der aufgedrehten Tochter zu explodieren, die ja nichts für mein Gefühlschaos konnte.

Als ich später abpumpte, kam genau NICHTS aus meinen Brüsten raus. Quelle tot.

Abends heulte und heulte ich. Mein Mann tröstete mich und sagte mir, dass ich die beste Mutter überhaupt sei und so viel Liebe für meine Familie, für meine Kinder empfinde, dass ich alles daran setze zu stillen, und dass er sehr stolz auf mich sei. Ich heulte und trauerte dem Stillen nach, dass ich diesmal sicher nicht über 3 Monate durchziehe. Stillen klappt nicht bei mir.

 

Blogpost überarbeitet am 7.2.2020

 

10 thoughts on “Wenn es mit dem Stillen nicht klappt

  1. Ich hoffe, Du und Deine Hebamme findet eine gute Lösung. Zwiemilchernährung ist anstrengend (genauso wie Pumpstillen), vor allem wenn man sich noch um das grosse Geschwisterkind kümmern muss.
    Für mich lesen sich Deine neuerlichen Stillerfahrungen wie ein Teufelskreis. Du würdest so gerne, hast aber Angst (wieder) zu versagen.
    Vielleicht bist du einfach nicht zum Stillen gemacht? Vielleicht sorgen irgendwelche Hormone (es sind namlich mehrere daran beteiligt)
    dafür, dass nicht genug produziert wird?
    Du hast es probiert, du hast nicht direkt aufgegeben, verschiedenes ausprobiert – was wäre so falsch, komplett auf Pulver umzusteigen?
    Hauptsache ist doch, Euch beiden geht es gut. ((( )))

  2. Danke für Deinen lieben Kommentar 🙂 Ich habe mich jetzt entschieden abzustillen. Pumpen ist einfach nichts für mich und ich wohl nicht zum Stillen gemacht. Ich habe mich damit abgefunden und kann doch auch positive Aspekte dabei sehen, siehe mein Post vom 4.4. Das mit den Hormonen finde ich aber sehr interessant. Danke vielmals!

    1. Mir geht es gerade so wie dir und wenn ich deine Zeilen so lese, dann schießen mir die Tränen ein. Ich habe das Gefühl, ich versage..

  3. Deinen Pulvermilchpost kann ich aner nicht 100% ernst nehmen 😉
    Ich wünsche Dir nicht nur reines Abfinden, sondern so etwas wie Frieden mit deiner Entscheidung.
    In diesem Sinne: Prösterchen! ((( )))

  4. Oh hallo,
    Du sprichst mir aus dem Herzen das gleiche habe ich jetzt durchgemacht und bin richtig fertig mit den nerven das ich jetzt nach einem Monat ind 2 Wochen aufgehört habe aber mit mega schlechten gewissen.
    Und im Spital ging auch einiges schief, wo ich denke wäre das anders gelaufen wäre vielleicht vieles anders.
    Lg
    AnSa

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